Zu „1“ von Julia Dathe – Conrad H.

In einer Zeit der digitalen Medien die Menschen für Lyrik zu begeistern, gestaltet sich als eine schwierige Angelegenheit, jedoch versuchen dies viele junge Dichter heutzutage, wie zum Beispiel Julia Dathe. Sie veröffentlichte im Jahr 2017 über den Elif Verlag ihren Gedichtband „1“.

Der Band besitzt 21 Gedichte, welche über 67 Seiten verteilt sind. Dabei erstrecken sich lediglich zwei Gedichte über mehrere Seiten, der Rest nimmt oftmals nur eine halbe Seite ein. Das Buchcover ist sehr schlicht und eintönig in schwarz mit einer großen weißen „1“ als Titel gestaltet, aus der man nichts über die Themen im Band schließen könnte. Auch auf den Seiten sind keine Bilder oder kunstvolle Gestaltungen zu sehen, nur die Gedichte auf einem weißen Blatt. Somit konzentriert sich der Leser nur auf die Werke und wird nicht unnötig abgelenkt.

Im Nachwort des Bandes werden drei Zyklen beschrieben, die sich jedoch für den Leser auf den ersten Blick nicht erkenntlich zeigen, da man keine einheitlichen Themen erkennen kann, auch weil die Titel der Gedichte teilweise nicht mit den Themen die sie behandeln übereinstimmen. Es sind also Einzelgedichte, die sich jedoch nicht nur mit sich selbst beschäftigen, sondern jeweils mit dem nächsten Gedicht in irgendeiner Weise verbunden sind. Diese Verbindungen zwischen den Gedichten sind es, welche die drei Zyklen beschreiben. Im Folgendem werde ich das Gedicht „Im Mai“ abbilden und analysieren, um näher auf Dathes Schreibstil einzugehen.

„Im Mai“

Du
bei einer irgendeiner Emotionshandlung
Du hack‘ mir den Kopf ab
Du schlitz‘ mir den Bauch auf!

 

Das Gedicht „Im Mai“ steht im Band auf der Seite 45. In diesem Gedicht fordert das lyrische Ich den Leser auf, ihn in Folge der Emotionen, die dieser verspürt, umzubringen. Zum formalen Aufbau des Gedichtes kann man sagen, dass es aus einer Strophe mit vier Versen besteht, jedoch keine Reime oder ein einheitliches Metrum bestehen. In der Strophe fordert, wie schon gesagt, das lyrische Ich den Leser auf, seinen Emotionen Taten folgen zu lassen und es umzubringen.

Nun zu der sprachlichen Gestaltung. Da der erste Vers nur aus dem einzelnen Wort „Du“ besteht, wird der Leser gleich zu Beginn des Gedichtes direkt und persönlich angesprochen. In Vers zwei wird in den Wörtern „einer irgendeiner“ der Sinn wiederholt. Dies soll verdeutlichen, dass es egal ist, welche Emotionen der Leser fühlt, bevor das lyrische Ich den Ausdruck dieser fordert. In Vers drei und vier folgt eine Anapher, welche wieder das Wort „Du“ hervorhebt. Somit wird sich wieder direkt an den Leser gerichtet, damit das lyrische Ich danach seine Forderung zu einer Handlung stellen kann, in diesem Fall eine gewalttätige.

Nach einer formalen und sprachlichen Analyse kann ich sagen, dass der Leser in dem Gedicht sehr direkt und offensichtlich angesprochen wird. Die Gewaltaufforderung ist in diesem Falle nur eine Aufforderung Emotionen zu zeigen und ihnen Ausdruck zu verleihen, egal welche Emotionen man fühlt. Somit kann man das Gedicht als eine Kritik an der modernen Gesellschaft sehen, da viele Menschen heutzutage „kalt“ sind und ihre Emotionen nicht zeigen. Sie werden in diesem Werk auf übertriebene Weise aufgefordert ihre Emotionen auch nach außen zu zeigen. An diesem Gedicht wird auch deutlich, dass – wie zu Beginn genannt – die Themen in den Werken nicht mit den Titeln dieser übereinstimmen müssen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass man sich tief in die Gedichte „reindenken“ muss, um die Zusammenhänge der Themen zu verstehen und den Gedichtband als solchen zu sehen und nicht nur die Einzelgedichte. Somit kann ich das Buch für Leute mit Erfahrung in Lyrik sowie mit Lust auf das Hinterfragen der Texte empfehlen, jedoch wird man Zeit benötigen und die Gedichte nicht zur Entspannung lesen. Für Leute mit wenig Zeit und Lust zum Nachdenken ist der Band leider aus dem Grund der schwer zu verstehenden Themen und Zusammenhänge nicht empfehlenswert.