Zu Christian Kreis‘ „Nichtverrottbare Abfälle“ – Vivien D.

Kritisch. Schockierend. Witzig. Dies alles beschreibt das Buch „Nichtverrottbare Abfälle“, welches von Christian Kreis (geboren am 23. März in Bernburg, Saale) verfasst und im Jahre 2007 im Mitteldeutschen Verlag publiziert wurde.

Als ich mir den Gedichtband im Zuge des Deutschunterrichts aussuchte war ich zunächst skeptisch; nicht auf dieses spezifische Buch bezogen, sondern auf die Epoche der Gegenwartslyrik im Allgemeinen. Ich schlug das Buch missmutig in der Mitte auf, las als erstes das Gedicht „Defloration“ (S. 27) und musste schmunzeln, da ich nun den Charme und Witz (durch die Ambivalenz der Werke) Kreis’ Gedichte kennenlernte. Je mehr Gedichte ich las, desto sympathischer wurde das Buch und schnell wollte ich alle der Gedichte lesen.

Der Paperback-Einband des Buches ist in einem satten Dunkelblau gehalten und auf dem Cover ist eines der Aquarelle von Ulrike Großwendt abgebildet, von welchen noch fünf weitere, jeweils am Beginn eines neuen Kapitels, im Band vorkommen. Es besteht aus 111 Seiten (inkl. Register) und die Themen sind in Kapitel eingeteilt: „Poetik Persiflage“ (S. 7–19), „Liebe Triebe“ (S. 23–47), „Heimat Herkunft“ (S. 51–63), „Geschichte Gewalt“ (S. 67–81) und „Flanerie“ (S. 85–109).

Somit umfassen diese insgesamt 69 Gedichte (was durchaus aufgrund des humoristischen und anzüglichen Schreibstils auch als ein kleiner Witz betrachtet werden kann) alle möglichen Themen, überwiegend auf die moderne Wegwerf- und Konsumgesellschaft bezogen (doch viele auch äußerst selbstkritisch), und sie variieren auch stark hinsichtlich des formalen Baus.

Die Werke sind unterschiedlich umfangreich von sehr kurz („Der Sommer“ mit drei Versen und nur acht Worten, S. 102) bis enorm lang („Impression von gelindem Ekel“ über fast sieben Seiten, S. 88–94), manche besitzen ein Reimschema und ein Metrum und einige nicht und es sind sowohl in Strophen gegliederte Gedichte, als auch jene mit freier Form enthalten. Daher wahrscheinlich auch die Wahl des Titels, da die Gedichte ebenso große Vielfalt aufweisen wie die „Abfälle“, welche die Menschen hinterlassen, mit dem Unterschied, dass dieses Gedankengut „nichtverrottbar“ ist.

Wahrhaft auffällig ist jedoch die Sprache, der Ausdruck, selbst: Die Formulierungen sind teils zweideutig, meist liegt allerdings ein starker Kontrast zwischen einer intelligenten, gebildeten und kultivierten Wortwahl (z.B.: „Aphasien“, S17; „Chorus magnum militeria“, S.75; „Desertion“, S.39; „eloquent“, S.31) und der unzensierten, direkten und primitiven Darstellung (z.B.: „Schlampe“, S.25; „hinterfotzige Frage“, S.72; „Ich wichse“, S15; „Schwanz“, S. 34). Dies kreiert eine humorvolle, schockende und bei genauerem Lesen düstere/bedrückende Atmosphäre.

Im Folgendem habe ich nun als Beispiel das Gedicht „Die Welt rotiert“ (S. 85) aus dem Band ausgewählt, um eben diese Besonderheit der Kontradiktion und des ambivalenten Aspekts aufzuführen:

Die Welt rotiert, vergeblich, die Gazetten
berichten; beim Verdauen liest du sie
als Zeuge fortgesetzter Idiotie:
Ein jeder kämpft und niemand wird sich retten.
Friß Kinderschokolade zum Verfetten
des Leibs, zur Tröstung der Konfiserie
gesellt sich die Kontemplation, dein Nie
beschneidet allen Zeugungswahn, so betten
die Polster deinen trägen Arsch, Emphase
des Muskelschwunds. Flaneur der Kopfoase:
Am Ohrensessel bist du festgeschmiedet.
Dem Darm entweichen die Zersetzungsgase,
der Kot rotiert, du bist vom Fraß befriedet,
ein letzter Rülps, Urmenschenparaphrase.

Der lyrische Sprecher in diesem Gedicht thematisiert und kritisiert die heutige Konsumgesellschaft und die zunehmende sowohl geistige als auch körperliche Trägheit und den daraus resultierenden Verfall der Menschen.

Das Gedicht besteht aus 14 Versen und ist nicht in Strophen eingeteilt. Es liegt ein 5-hebiger Jambus mit unregelmäßig wechselnden männlichen und weiblichen Kadenzen und zwar ein Endreim, jedoch kein eindeutiges Reimschema vor. Der Jambus und die Enjambements (V. 1–2, V. 2–3, V. 5–6, V. 6–7, V. 7–8, V. 8–9) schaffen eine amüsante, humoristische Atmosphäre und den Eindruck von Dynamik, was invers zu dem recht makabren und ernsten Inhalt des Gedichts steht. Auch in diesem Werk ist der charakteristische Kontrast in der Sprache zu finden: Es kommen sowohl Fachwörter (z.B. „Kontemplation“, V. 7; „Emphase“, V. 9) als auch eher informelle rüde Ausdrücke (z.B. „Fraß“ V. 13; „Rülps“ V. 14; „Arsch“ V. 9) vor.

Retrospektiv kann ich behaupten, dass der Gedichtband mir ausgezeichnet gefallen hat, obwohl ich dem Buch zunächst negativ gegenüberstand. Mir hat die Verwendung von Sprache und Witz außerordentlich zugesagt und auch die Kritik bis hin zur Selbstkritik ist enorm erfrischend. Ich kann dieses Werk jedem empfehlen, der viel Humor (vor allem schwarzen Humor) besitzt und nicht vor direkten, anstößigen (nicht ganz jugendfreien) Ausdrücken und scharfer Kritik zurückschreckt.