Junge deutschsprachige Lyrik nach der Natur
Das Naturgedicht gibt seit der Ablösung von Abbildästhetiken – „nach der Natur“ – im 18. Jahrhundert kommentierend, beschreibend, imaginierend Nachrichten von der fortschreitenden Versehrung und Verheerung der Natur. Beschwor die Romantik noch einmal die Ganzheitlichkeit des Menschen als Natur- und Kulturwesen sowie seines Naturverhältnisses, so barg die Lyrik des 20. Jahrhunderts die Natur als Fluchtraum vor schwer erträglichen Gesellschaftsverhältnissen, als Gegenbild zur Feier der Urbanität wie in der „Kolonne“-Gruppe und der „naturmagischen Schule“, bei Britting, Lehmann oder Loerke. Anknüpfend an Brechts Ästhetik nahmen in den sechziger Jahren die Lyriker der „Sächsischen Dichterschule“ um Braun, den Kirschs und Mickel Georg Maurers Topos von der „Durchgearbeiteten Landschaft“ auf, um für eine sehr kurze Hoffnungszeit ein dialektisches Verhältnis von Naturbeherrschung und Natureingebundenheit zu inaugurieren. Das kippen musste, als in den siebziger Jahren Waldsterben und Ölkrise, Club-of-Rom-Bericht und saurer Regen einen Vorgeschmack auf kommende ökologische Desaster gaben. Gedichte von Erich Arendt, Richard Pietraß, Thomas Rosenlöcher,Volker Braun,von Heinz Czechowski, Günter Kunert oder Sarah Kirsch nahmen die Hybris von Fortschrittsglauben und Naturbeherrrschung kunstfertig, warnend und mahnend ins Visier. In ihrem Schlepptau grassierte allerdings die Textsorte Öko-Kitsch, die es nachfolgenden Dichtern erst einmal gründlich vermieste, sich dieser Motivik ernsthaft anzunehmen. Wo sie es dennoch unternahm, brach sie sie unter den Auspizien des Poststrukturalismus und der Dekonstruktion: Die Gedichtbände von Gerhard Falkner, Thomas Kling, Peter Waterhause oder Michael Donhauser seit den achtziger Jahren unternahmen es, Landschaft als Textur zu schraffieren. Auch deshalb war in den neunziger Jahren der Gedichttypus des Warngedichts scheinbar verschwunden in der öffentlichen Wahrnehmung, stattdessen reüssierte eine „biologische Lyrik“ vom Schlage Grünbeins oder Urweiders, die den generellen Bedeutungsverlust der Dichtung im Diskursgeflecht durch eine Integration von Wissenschaftsdiskursen etwa der Neurobiologie zu kompensieren suchte. Anthropologie versus Geschichte, Zoologie und Neo-Darwinismus versus Sozialwissenschaften, so lautete die flaue, desgleichen raffiniert verpackte Botschaft dieses Paradigmenwechsels. Dessen scheinbar antiideologische Verve ließ sich nahtlos einbinden als Schmankerl zu dem, was neoliberale Ideologie aufzutischen pflegt: Der Mensch als Selbstverwertungsmonade, a-sozial und allein auf sich gestellt, hat sich im Dschungel des Markts zu behaupten oder unterzugehen, das soziale Tier ist bestenfalls noch unter einer betriebswirtschaftlichen Marge verwertbar.
Weiterlesen →