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Auf dem Weg zur Gegenwartslyrik – Elisabeth Dietz

Poetische Spurensuche

Was macht eigentlich die Lyrik? Man sieht sie nur noch selten in der Öffentlichkeit, und wenn, dann redet sie wirr. BÜCHER geht mal bei ihr vorbei und guckt, wie es ihr geht.

Eigentlich hatten wir immer ein gutes Verhältnis. Ich werde einfach bei ihr klingeln. Vielleicht lädt sie mich auf Tee und Kekse ein. „Weißt du noch“, werde ich sagen, „wie du ausgesprochen hast, was wir denken, bevor wir selbst davon wussten? ,Bedecke deinen Himmel, Zeus, / Mit Wolkendunst!‘ Du kanntest uns in-, wir dich auswendig.“ Sie wird stumm eine Augenbraue hochziehen und ich werde zugeben müssen, dass das ein blödes Wortspiel ist. „Und weißt du noch, wie du uns abgelenkt hast, als wir über uns selbst erschrocken waren?“, werde ich sagen. „,Unter eines Baumes Rinde / wohnt die Made mit dem Kinde‘?“ Sie in die Seite zu stoßen wäre wohl zu vertraulich. Hoffentlich hat sie überhaupt Tee und Kekse da.

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Mit Dolly im „Second life“ – Peter Geist

Junge deutschsprachige Lyrik nach der Natur

Das Naturgedicht gibt seit der Ablösung von Abbildästhetiken – „nach der Natur“ – im 18. Jahrhundert kommentierend, beschreibend, imaginierend Nachrichten von der fortschreitenden Versehrung und Verheerung der Natur. Beschwor die Romantik noch einmal die Ganzheitlichkeit des Menschen als Natur- und Kulturwesen sowie seines Naturverhältnisses, so barg die Lyrik des 20. Jahrhunderts die Natur als Fluchtraum vor schwer erträglichen Gesellschaftsverhältnissen, als Gegenbild zur Feier der Urbanität wie in der „Kolonne“-Gruppe und der „naturmagischen Schule“, bei Britting, Lehmann oder Loerke. Anknüpfend an Brechts Ästhetik nahmen in den sechziger Jahren die Lyriker der „Sächsischen Dichterschule“ um Braun, den Kirschs und Mickel Georg Maurers Topos von der „Durchgearbeiteten Landschaft“ auf, um für eine sehr kurze Hoffnungszeit ein dialektisches Verhältnis von Naturbeherrschung und Natureingebundenheit zu inaugurieren. Das kippen musste, als in den siebziger Jahren Waldsterben und Ölkrise, Club-of-Rom-Bericht und saurer Regen einen Vorgeschmack auf kommende ökologische Desaster gaben. Gedichte von Erich Arendt, Richard Pietraß, Thomas Rosenlöcher,Volker Braun,von Heinz Czechowski, Günter Kunert oder Sarah Kirsch nahmen die Hybris von Fortschrittsglauben und Naturbeherrrschung kunstfertig, warnend und mahnend ins Visier. In ihrem Schlepptau grassierte allerdings die Textsorte Öko-Kitsch, die es nachfolgenden Dichtern erst einmal gründlich vermieste, sich dieser Motivik ernsthaft anzunehmen. Wo sie es dennoch unternahm, brach sie sie unter den Auspizien des Poststrukturalismus und der Dekonstruktion: Die Gedichtbände von Gerhard Falkner, Thomas Kling, Peter Waterhause oder Michael Donhauser seit den achtziger Jahren unternahmen es, Landschaft als Textur zu schraffieren. Auch deshalb war in den neunziger Jahren der Gedichttypus des Warngedichts scheinbar verschwunden in der öffentlichen Wahrnehmung, stattdessen reüssierte eine „biologische Lyrik“ vom Schlage Grünbeins oder Urweiders, die den generellen Bedeutungsverlust der Dichtung im Diskursgeflecht durch eine Integration von Wissenschaftsdiskursen etwa der Neurobiologie zu kompensieren suchte. Anthropologie versus Geschichte, Zoologie und Neo-Darwinismus versus Sozialwissenschaften, so lautete die flaue, desgleichen raffiniert verpackte Botschaft dieses Paradigmenwechsels. Dessen scheinbar antiideologische Verve ließ sich nahtlos einbinden als Schmankerl zu dem, was neoliberale Ideologie aufzutischen pflegt: Der Mensch als Selbstverwertungsmonade, a-sozial und allein auf sich gestellt, hat sich im Dschungel des Markts zu behaupten oder unterzugehen, das soziale Tier ist bestenfalls noch unter einer betriebswirtschaftlichen Marge verwertbar.

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Der Beginn einer Reise – Tobias Nazemi

Eine Annäherung an die Gegenwartslyrik
Jan Wagner – Regentonnenvariationen

Ich gebe es ja zu – so ganz frei von Vorurteilen war ich nicht. Genau gesagt: ich war voll davon. Das passt nicht zu mir, dachte ich. Das macht ein Mann in meinem Alter nicht, einer, der mit beiden Beinen im Leben steht. Einer, der schon viel erlebt hat und dem man nichts mehr vormachen kann. So einer liest keine Gedichte! Niemals. Doch ein Mann in meinem Alter hat auch gelernt, dass ein Niemals einen niemals weiterbringt. Wenn hin und wieder im Leben die Wolkendecke aufbrechen und die Sonne durchscheinen soll, dann ist ein „Warum nicht?“, ein „Ich-probier-das-mal“ keine schlechte Option. Und so habe ich mit Regentonnenvariationen zum ersten Mal nach 25 Jahren wieder einen Lyrikband in die Hand genommen. Ein Buch, dem man schon vom Cover her ansieht, dass es nicht coole Poplyrik sein will und ich darin keine gereimten Schenkelklopfer finden werde. Ok, dann mal los, dachte ich mir.

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Neue Poesie – Michael Gratz

Gäbe es den Begriff Neue Poesie, und er meinte nicht die Novitäten der Herbstmesse oder die Gewohnheit, den jeweiligen Gegenstand, wie etwa eine bestimmte Auswahl von Namen oder Texten, eine „Generation“, Richtung oder Schule abzugrenzen (wovon? vom breiten Hauptstrom dann wohl, Neoteriker oder Neutöner gibt es als Schimpfwort seit der Antike), sondern als sachliche Bezeichnung wie Neue Musik, die nicht eine Schule, Epoche oder Stilfarbe meint, sondern einen Sammelbegriff für Musik, die

durch – teils radikale – Erweiterungen der klanglichen, harmonischen, melodischen, rhythmischen Mittel und Formen charakterisiert [ist]. Ihr ist die Suche nach neuen Klängen, neuen Formen oder nach neuartigen Verbindungen alter Stile zu eigen, was teils durch Fortführung bestehender Traditionen, teils durch bewussten Traditionsbruch geschieht und entweder als Fortschritt oder als Erneuerung (Neo- oder Post-Stile) erscheint.

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Warum heute Lyrik – Artur Nickel

Gedankensplitter

Lyrik heute ist ein Feind von Geplapper und Geschwätz. Sie sucht das Unverwechselbare, das Authentische, den individuellen Ausdruck. Sie zerschlägt Sprechblasen, Stereotype, Festgefügtes. Sie konzentriert sich sprachlich auf kleine Zusammenhänge, um diese möglichst präzise zu fassen und den Blick zu schärfen. Denn schon darin schlummern Welten. Man muss nur genau hinschauen. Weiterlesen

Positionspapier Lyrik im Schulunterricht – G13

 

„In jeder Epoche muß versucht werden, die Überlieferung von neuem dem
Konformismus abzugewinnen, der im Begriff steht, sie zu überwältigen”
-Walter Benjamin: Thesen zur Geschichte

Zur Relevanz lyrischer Praxis

Dieses Positionspapier argumentiert für die Veränderung der Lyrikvermittlung im Schulunterricht und für eine größere Sichtbarkeit von zeitgenössischen Autor_innen in Schulbüchern(1). Als Kollektiv junger Lyriker_innen(2) gehen wir davon aus, dass die Praxis des Dichtens wie auch die Diskussion darüber einen Raum generiert, der eine ganz besondere Form von Freiheit schafft, welche die Verwertungslogik von Sprache im alltäglichen Informationsaustausch reflektiert und überschreitet. In Gedichten werden Dinge und Zusammenhänge sagbar, die außerhalb von ihnen nicht formulierbar sind. In diesem Sinne bedeutet Lyrik ein Bewusstwerden über das Objekt (Sprache, Artefakte) und begünstigt eine Reflektion von Subjektivität als sehender, fühlender, denkender und herrschender Instanz. Damit ist der Lyrik die Möglichkeit multipler Perspektiven und die Offenheit für kontinuierliche Umdeutungen eingeschrieben – sie konstituiert eine Praxis der Andersheit. Lyrik öffnet einen Raum außerhalb alltagssprachlicher Zwänge, in dem die Möglichkeit zum Dissens bestehen bleibt. Lyrik ist ein Raum der Pluralität und damit ganz wesentlich ein Raum der Kritik bzw. der kritischen Praxis. Weiterlesen

Ernsthaftes Spielen: Oden an den Alltag – Matthew Burgess (Übers. Tobias Reußwig)

Was Studenten von Erstklässlern lernen können

Burgess-Zumari

„Der Mensch spielt als Kind […] unterhalb des Niveaus des ernsthaften Lebens.
Er kann auch über diesem Niveau spielen: Spiele der Schönheit und Heiligkeit.“
Johan Huizinga, Homo Ludens1

Wenn ich Leuten erzähle, dass ich sowohl Erstklässler als auch Studenten das Schreiben von Gedichten beibringe, sagen sie oft: „Das muss wirklich interessant sein.“ Sie nehmen ganz richtig an, dass es sich dabei um zwei völlig verschiedene Erlebnisse handelt – und in vielerlei Hinsicht haben sie recht. Die Kinder besitzen eine lebhafte Vorstellungskraft, aber ihnen fehlt ein großer Wortschatz; vielen bereiten auch die grundsätzlichen, handwerklichen Anforderungen des Schreibens Schwierigkeiten. Die Studenten haben mehr Ideen, mehr Erinnerungen und mehr Wörter, aber wenn man sie bittet, ein Gedicht zu schreiben, verkrampfen sie oder flüchten sich in Ausreden. Sie wollen, dass ihr Schreiben Sinn hat, oder sich auf eine bestimmte Art anhört, oder sie wollen eine gute Note bekommen. Die Jüngeren machen sich beim Schreiben weniger Gedanken um das Resultat. Sie bleiben im Augenblick, sie schauen, wohin der Stift sie führt. Sie lassen sich darauf ein, etwas auf der Seite entstehen zu lassen, das vorher nicht da war; sie entdecken die Wege, die ihr Geist geht; sie genießen die Reise die beginnt, wenn man ihnen erlaubt, auf dem Papier zu spielen. Weiterlesen

Zu „Ab hier nur Schriften“ von Timo Brandt – Johanna R.

Timo Brandt, der Autor des Gedichtbandes, auf den ich mich heute beziehen werde, wurde am 13.02.1992 in Düsseldorf geboren, wuchs aber in Hamburg auf. Von 2014 bis 2018 studierte er am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Der bereits erwähnte Gedichtband „Ab hier nur Schriften“ wurde im Februar 2019 durch den Aphaia Verlag veröffentlicht und gehört der Reihe der Mitlesebücher an, welche ausschließlich Gegenwartslyrik herausbringt. Äußerlich ist der Gedichtband sehr auffällig gestaltet. Er ist relativ groß und das Cover besteht aus einer Collage verschiedener Wörter. Hierbei ist zu erwähnen, dass die Wörter auf der Vorderseite, bis auf den Autor und den Titel, bunt gestaltet sind. Der Band besteht aus 68 Seiten. Timo Brandt schreibt in seinen Gedichten hauptsächlich über Erinnerungen, wobei er auch einige Male Gedichte für andere Menschen schreibt, aber auch über alltägliche, banale Dinge, welche in seinen Texten als etwas Besonderes beschrieben werden.

Im Folgenden werde ich mich nun auf ein bestimmtes Gedicht konzentrieren:

„Mit der ich einst Lasagne aß“

Mit der ich einmal Jandl las
Ganz oft verstand sie keinen Spaß
Bei der ich mich nachts wiederfand
Die wild in meinen Wünschen stand
Das letzte Wort war nie ein Kuss
An die ich manchmal denken muss
 
Beim ersten Lesen des Gedichtes macht es zunächst eher einen „komischen“ Eindruck, doch nachdem ich es mehrfach gelesen habe, fiel mir auf, dass das zentrale Thema des Gedichtes die Erinnerung an eine Art Liebesbeziehung des lyrischen Ichs zu einer Frau ist. Das lyrische Ich spricht in diesem Gedicht über eine Frau, mit der es einst viel Zeit verbracht hat, aber auch über dessen Sehnsüchte nach dieser Frau. Das Gedicht besteht nur aus einer Strophe mit sechs Versen, ist im Paarreim geschrieben und besitzt als Metrum einen Jambus. Sprachlich lässt sich sagen, dass der Autor keine Satzzeichen und, außer im letzten Vers, das Präteritum verwendet, wodurch man davon ausgehen kann, dass es sich um Erinnerungen des lyrischen Ichs handelt. Außerdem nutzte Timo Brandt eine zwar einfache, aber sehr bildliche Sprache. Durch die vielen sprachlichen Bilder kann der Leser die Beziehung zwischen dem lyrischen Ich und der im Gedicht beschriebenen Frau nachvollziehen. Dass es sich um eine Frau handelt, erkennt man an den Demonstrativpronomen „der“ und „die“ (vgl. V. 1, 3, 5).

Mit dem Vers „Bei der ich mich nachts wiederfand“ (V. 3) erkennt man, dass die beiden eine Art Liebesbeziehung führten. In dem fünften Vers wird klar, dass die beiden sich nie nah genug kamen, um von einer ernsthaften Beziehung zu sprechen (vgl. V. 5). Durch diesen Vers wird außerdem eine gewisse Melancholie erzeugt. Die Hyperbel „Die wild in meinen Wünschen stand“ (V. 4) offenbart die Gefühle, aber auch die Sehnsüchte des lyrischen Ichs zu der im Gedicht beschriebenen Frau. In dem letzten Vers wird deutlich, dass die Beziehung zu der Frau noch nicht in Vergessenheit geraten ist.

Abschließend kann ich sagen, dass ich anfangs recht skeptisch dem Gedichtband gegenüberstand, denn ehrlich gesagt interessiere ich mich wenig für das Lesen. Doch als wir uns im Deutschunterricht näher damit beschäftigt haben und wir uns dann auch mit einem bestimmten Gedichtband näher auseinandersetzen mussten, fiel mir „Ab hier nur noch Schriften“ sofort ins Auge. Um nicht lügen zu müssen, habe ich es eigentlich nur aufgrund der intensiven Gestaltung des Covers ausgewählt. Nachdem ich mich jedoch länger mit den Texten beschäftigt habe, muss ich gestehen, dass mir die meisten Texte des Bandes wirklich gefallen. Die meisten Texte handeln von alltäglichen Dingen, doch dies auf eine ganz besondere Art und Weise.

Zu Christian Kreis‘ „Nichtverrottbare Abfälle“ – Vivien D.

Kritisch. Schockierend. Witzig. Dies alles beschreibt das Buch „Nichtverrottbare Abfälle“, welches von Christian Kreis (geboren am 23. März in Bernburg, Saale) verfasst und im Jahre 2007 im Mitteldeutschen Verlag publiziert wurde.

Als ich mir den Gedichtband im Zuge des Deutschunterrichts aussuchte war ich zunächst skeptisch; nicht auf dieses spezifische Buch bezogen, sondern auf die Epoche der Gegenwartslyrik im Allgemeinen. Ich schlug das Buch missmutig in der Mitte auf, las als erstes das Gedicht „Defloration“ (S. 27) und musste schmunzeln, da ich nun den Charme und Witz (durch die Ambivalenz der Werke) Kreis’ Gedichte kennenlernte. Je mehr Gedichte ich las, desto sympathischer wurde das Buch und schnell wollte ich alle der Gedichte lesen.

Der Paperback-Einband des Buches ist in einem satten Dunkelblau gehalten und auf dem Cover ist eines der Aquarelle von Ulrike Großwendt abgebildet, von welchen noch fünf weitere, jeweils am Beginn eines neuen Kapitels, im Band vorkommen. Es besteht aus 111 Seiten (inkl. Register) und die Themen sind in Kapitel eingeteilt: „Poetik Persiflage“ (S. 7–19), „Liebe Triebe“ (S. 23–47), „Heimat Herkunft“ (S. 51–63), „Geschichte Gewalt“ (S. 67–81) und „Flanerie“ (S. 85–109).

Somit umfassen diese insgesamt 69 Gedichte (was durchaus aufgrund des humoristischen und anzüglichen Schreibstils auch als ein kleiner Witz betrachtet werden kann) alle möglichen Themen, überwiegend auf die moderne Wegwerf- und Konsumgesellschaft bezogen (doch viele auch äußerst selbstkritisch), und sie variieren auch stark hinsichtlich des formalen Baus.

Die Werke sind unterschiedlich umfangreich von sehr kurz („Der Sommer“ mit drei Versen und nur acht Worten, S. 102) bis enorm lang („Impression von gelindem Ekel“ über fast sieben Seiten, S. 88–94), manche besitzen ein Reimschema und ein Metrum und einige nicht und es sind sowohl in Strophen gegliederte Gedichte, als auch jene mit freier Form enthalten. Daher wahrscheinlich auch die Wahl des Titels, da die Gedichte ebenso große Vielfalt aufweisen wie die „Abfälle“, welche die Menschen hinterlassen, mit dem Unterschied, dass dieses Gedankengut „nichtverrottbar“ ist.

Wahrhaft auffällig ist jedoch die Sprache, der Ausdruck, selbst: Die Formulierungen sind teils zweideutig, meist liegt allerdings ein starker Kontrast zwischen einer intelligenten, gebildeten und kultivierten Wortwahl (z.B.: „Aphasien“, S17; „Chorus magnum militeria“, S.75; „Desertion“, S.39; „eloquent“, S.31) und der unzensierten, direkten und primitiven Darstellung (z.B.: „Schlampe“, S.25; „hinterfotzige Frage“, S.72; „Ich wichse“, S15; „Schwanz“, S. 34). Dies kreiert eine humorvolle, schockende und bei genauerem Lesen düstere/bedrückende Atmosphäre.

Im Folgendem habe ich nun als Beispiel das Gedicht „Die Welt rotiert“ (S. 85) aus dem Band ausgewählt, um eben diese Besonderheit der Kontradiktion und des ambivalenten Aspekts aufzuführen:

Die Welt rotiert, vergeblich, die Gazetten
berichten; beim Verdauen liest du sie
als Zeuge fortgesetzter Idiotie:
Ein jeder kämpft und niemand wird sich retten.
Friß Kinderschokolade zum Verfetten
des Leibs, zur Tröstung der Konfiserie
gesellt sich die Kontemplation, dein Nie
beschneidet allen Zeugungswahn, so betten
die Polster deinen trägen Arsch, Emphase
des Muskelschwunds. Flaneur der Kopfoase:
Am Ohrensessel bist du festgeschmiedet.
Dem Darm entweichen die Zersetzungsgase,
der Kot rotiert, du bist vom Fraß befriedet,
ein letzter Rülps, Urmenschenparaphrase.

Der lyrische Sprecher in diesem Gedicht thematisiert und kritisiert die heutige Konsumgesellschaft und die zunehmende sowohl geistige als auch körperliche Trägheit und den daraus resultierenden Verfall der Menschen.

Das Gedicht besteht aus 14 Versen und ist nicht in Strophen eingeteilt. Es liegt ein 5-hebiger Jambus mit unregelmäßig wechselnden männlichen und weiblichen Kadenzen und zwar ein Endreim, jedoch kein eindeutiges Reimschema vor. Der Jambus und die Enjambements (V. 1–2, V. 2–3, V. 5–6, V. 6–7, V. 7–8, V. 8–9) schaffen eine amüsante, humoristische Atmosphäre und den Eindruck von Dynamik, was invers zu dem recht makabren und ernsten Inhalt des Gedichts steht. Auch in diesem Werk ist der charakteristische Kontrast in der Sprache zu finden: Es kommen sowohl Fachwörter (z.B. „Kontemplation“, V. 7; „Emphase“, V. 9) als auch eher informelle rüde Ausdrücke (z.B. „Fraß“ V. 13; „Rülps“ V. 14; „Arsch“ V. 9) vor.

Retrospektiv kann ich behaupten, dass der Gedichtband mir ausgezeichnet gefallen hat, obwohl ich dem Buch zunächst negativ gegenüberstand. Mir hat die Verwendung von Sprache und Witz außerordentlich zugesagt und auch die Kritik bis hin zur Selbstkritik ist enorm erfrischend. Ich kann dieses Werk jedem empfehlen, der viel Humor (vor allem schwarzen Humor) besitzt und nicht vor direkten, anstößigen (nicht ganz jugendfreien) Ausdrücken und scharfer Kritik zurückschreckt.

Zu „Wie Alpen“ von Steffen Popp – Celine H.

Im Deutschunterricht der Klassenstufe 11 befassten wir uns bereits mit der Gegenwartslyrik. Hierzu bekamen wir nun die Aufgabe, uns mit einem selbstgewählten Gedichtband zu beschäftigen und diesen unter bestimmten Aspekten zu untersuchen. Für diese Aufgabe wählte ich den Band „Wie Alpen“ von Steffen Popp, welcher 2004 veröffentlicht wurde. Schon beim ersten Blick in den Band fiel mir die bildliche Sprache in den Gedichten auf, sowie ein häufig verwendetes Thema: das Meer.

Das Cover des Bandes ist monoton gestalten und bildet diverse Motive und Muster ab. Auch die transparenten Seiten innerhalb des Buches, verlangen einen genaueren Blick in das Werk. Der Gedichtband besteht aus 72 Seiten, auf denen sich 33 Gedichte befinden. Diese sind unterschiedlich lang, einige erstrecken sich über zwei Seiten oder sind in mehrere Teile aufgeteilt wie z.B. die zwei Teile von „Den Toten des Surrealismus“. Außerdem sind diese in vier Kapitel geteilt. Themen wie das Meer, die Welt, verschiedene Städte und Länder (z.B. “Gibraltar“) werden hier verwendet. Die meisten Gedichte enthalten eingerückte Verse, eine auffällig bildliche Sprache und viele Aufzählungen, welche viele Eindrücke vermitteln.

Um einen Eindruck von den enthaltenen Gedichten zu vermitteln, habe ich das Gedicht „Das Meer bewohnt mich, wie Licht eine Stadt“ genauer untersucht. Dabei könnte die Wirkung des Meeres im Gegensatz zu der Stadt beschrieben werden, wobei das lyrische Ich sich eher dem Meer verbunden fühlt. Vor allem wird dabei die Idylle des Meeres thematisiert und die Hektik der Stadt. In diesem Werk ist kein regelmäßiges Metrum oder Reimschema zu finden, jedoch einige Enjambements wie z.B. das Strophenenjambement (V. 2–3). Diese formalen Aspekte verleihen dem Werk eine gewisse Unregelmäßigkeit und geben den Eindruck von einem ablaufenden Gedankengang.

Außerdem sind auch klassische stilistische Mittel zu finden. Häufig vorkommende sind dabei Personifikationen, die die Lebendigkeit der Stadt unterstreichen. Außerdem werden Gegenständen und Gebäuden untypische Eigenschaften oder Fähigkeiten zugesagt, z.B. „Die offenen Balkone leuchteten“ (V. 1). Da hingegen wird die Fähre auf dem Meer als schlafend beschrieben (Vgl. V. 2), was die Ruhe des Meeres bei Nacht verdeutlicht. Lediglich die „Lichtketten“ (V. 7), was eine Metapher für die Lichter der Boote ist, sind unter den Brücken zu sehen. Zur gleichen Zeit bemerkt das lyrische Ich die Instrumente in den Tunneln (Vgl. V. 6), welche die Lautstärke der Fahrzeuge am Land symbolisieren. Durch diese bildliche Sprache werden die Gegensätze von dem Meer und der Stadt weiterhin verdeutlicht bzw. das Gegensatzpaar Ruhe und Hektik. Die Ruhe des Meeres wird noch einmal verdeutlicht, da das lyrische Ich sich allein (Vgl. V. 9) an dem Ort befindet und von dort aus das Meer wirken sehen kann (Vgl. V. 1–12). In der Ferne beobachtet es mehrere Frachtkräne, welche in der Dunkelheit den Kontinent zu begrenzen scheinen, wodurch die Endlichkeit und Unerreichbarkeit des Meeres verstärkt wird.

Zusammenfassend kann somit die Deutungshypothese vom Anfang bestätigt werden. Das lyrische Ich fühlt sich dem Meer verbunden, insbesondere dem nächtlichen Vorgang auf dem Ozean. Hauptsächlich hat das lyrische Ich dies auch, im Gegensatz zur Stadt, als ruhig und entspannend beschrieben. Im Zusammenhang mit dem Titel, kann also nun daraus geschlossen werden, dass das Meer eine Art Teil von dem lyrischen Ich ist, wodurch eine gewisse Verbundenheit entsteht.

Ich würde diesen Band weiterempfehlen, vor allem da die bildliche Sprache der Gedichte mich besonders angesprochen hat. Diese vermitteln Bilder zu jedem einzelnen Gedicht und lassen somit die Situationen realistischer wirken und erlauben, dass sich der Leser besser hineinversetzen kann. Obwohl die Werke zuerst schwerer verständlich wirken, da die sprachlichen und formalen Mittel komplex gestaltet sind, ist es mit einem genaueren Blick auf einzelne Werke möglich, diese nachzuvollziehen. Im Allgemeinen ist es außerdem auch einfach sich in dem Lyrikband zurechtzufinden, durch das Inhaltsverzeichnis und den einfachen formalen Aufbau des Inhalts.

Zum Schluss ist hier ein kleiner Ausschnitt aus dem Lyrikband „Wie Alpen“ abgebildet:

„Das Meer bewohnt mich, wie Licht eine Stadt“

Die offenen Balkone leuchteten, Inseln am Stadtring
die Luft lag herum, eine Fähre, vermutlich schlief sie

ich legte meinen Kopf in ihren Rumpf
fand eine Strömung, das Regime der Flüsse
unter den Brücken und in den Tunneln
die Instrumente
Lichtketten, die sich bewegten.

Am Hafen
war ich allein mit dem Wasser, das dort an Land geht
Frachtkräne schienten den Kontinent
an seinen Rändern, im Hintergrund wirkten
die Meere.